
Die V-Hypothesen der MPU
Das Wichtigste zusammengefasst:
- Was V1, V2 oder V3 bedeutet
Schwerwiegendes psychisches Defizit, nicht anders können oder nicht anders wollen?
Der psychologische MPU-Gutachter hat ja die nicht ganz einfache Aufgabe eine Prognose über Ihr zukünftiges Verhalten im Straßenverkehr abzugeben. Wie er dabei vorzugehen hat, das steht in den Beurteilungskriterien, an die er sich verbindlich halten muss. Jeder einzelnen Hypothese sind Voraussetzungen zugeordnet, die der MPU-Kandidat erfüllen muss um eine positive Prognose erhalten zu können. In welche Hypothese Sie gesteckt werden, das entscheidet sich im Lauf des Gesprächs mit dem psychologischen Gutachter. Dabei ist er nicht völlig frei, hat aber einen gewissen Entscheidungsspielraum. Ihr Interesse muss es natürlich sein in einer möglichst günstigen Hypothese zu landen.
Die Hypothesen V1 bis V3
Ich zitiere bei den Hypothesen hier wörtlich den Text aus den Beurteilungskriterien:
Hypothese V1
»Der Klient hat aufgrund einer generalisierten Störung der emotionalen und sozialen Entwicklung (z.B. Störung der Persönlichkeit) vermehrt oder erheblich gegen strafrechtliche und ggf. auch verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen. Er zeigt nach einem nachvollziehbaren, in der Regel therapeutisch unterstützten Veränderungsprozess nun keine grundsätzlich antisoziale Einstellung (mehr), ist zur Einhaltung relevanter sozialer Normen und gesetzlicher Bestimmungen motiviert und konnte dies auch bereits erfolgreich über einen längeren Zeitraum umsetzen.«
In V1 landen nur sehr Wenige. Hier ist ja die Rede von einer Störung der emotionalen und sozialen Entwicklung. Was genau ist damit gemeint? - Am besten lässt sich das durch einen Vergleich mit den beiden Hypothesen A1 (Alkoholabhängikeit) und D1 (Drogenabhängigkeit) erklären. Bei A1 und D1 geht es um Abhängigkeit (anders ausgedrückt: Sucht). Wer süchtig ist, der hat sein eigenes Handeln nicht mehr im Griff. Immer wieder findet Kontrollverlust statt. Das bedeutet, dass auch ernsthafte Versuche den Konsum einzustellen immer wieder scheitern. Es ist sehr schwer aus diesem Kreislauf raus zu kommen. Meistens gelingt das dauerhaft nur durch eine suchtbasierte intensive Therapie, in der der Klient aufarbeitet, wodurch die Sucht entstanden ist und neue Handlungsweisen erlernt.
Mit Störung der emotionalen und sozialen Entwicklung ist gemeint, dass dem Klienten grundlegende Fähigkeiten zur Steuerung seines sozialen Verhaltens wie sie in unserer Gesellschaft zwingend erwartet werden, fehlen. Diese Fähigkeiten hat er entweder nie gelernt (z.B. verursacht durch eine sehr schwere Kindheit), oder er hat sie verlernt durch ein soziales, oft kriminelles Umfeld, in dem ganz andere Werte und Normen galten.
Bei V1-Kandidaten liegt ein ganz konkreter "psychischer Schaden" vor (z.B. Störung der Persönlichkeit - also gewissermaßen "nicht gesellschaftsfähig" eben!). Ein Mensch, auf den so etwas zutrifft, kann sich noch so viel Mühe geben, aber er wird trotzdem immer wieder irgendwo kräftig anecken und gegen Regeln verstoßen. Bei ihm ist die emotionale und soziale Entwicklung schwerwiegend "verunglückt", so dass er mit den sozialen Spielregeln, die für andere ganz selbstverständlich sind, nicht klar kommt.
Die Zuordnung zu V1 erfolgt nicht willkürlich oder weil dem Gutachter die Nase des Klienten nicht gefällt, sondern es müssen schon ganz klar eine Reihe von Kriterien erfüllt sein. Wie oben zu lesen ist, bedeutet aber auch die Einstufung in V1 kein dauerhaftes k.o.-Kriterium. Der Weg hinaus führt über den therapeutisch unterstützen Veränderungsprozess. Dass das allerdings keine Angelegenheit sein wird, die mal eben so in ein paar schnellen Sitzungen abzuwickeln ist, ist sicher wenig überraschend. Allerdings ist es auch kein Grund um zu verzweifeln, denn auch bei der MPU wird angenommen, dass der Mensch lebenslang lernfähig ist.
Hypothese V2
»Der Klient hat aufgrund problematischer und verfestigter Verhaltensmuster bei verminderter Anpassungsfähigkeit vermehrt und erheblich gegen verkehrs- und/oder strafrechtliche Bestimmungen verstoßen. Er ist sich mittlerweile, zumeist mit fachlicher verkehrspsychologischer Unterstützung, dieser Zusammenhänge bewusst geworden und konnte angemessene alternative Bewältigungsstrategien entwickeln und stabilisieren, sodass er nun über eine ausreichende Selbstkontrolle bei der Einhaltung von Verkehrsregeln verfügt.«
Bei V2 ist das verfestigte Verhaltensmuster in Kombination mit verminderter Anpassungsfähigkeit das wesentliche Merkmal. Dass sich das problematische Verhalten nicht einfach nur mit einem Fingerschnipp abstellen lässt, ist leicht nachvollziehbar: Wenn man etwas schon sehr lange und immer wieder tut, dann geschieht das irgendwann auch teilweise automatisch, ohne dass man es bewusst tut. Kein erfahrener Autofahrer macht sich noch Gedanken beim Tritt auf das Kupplungspedal. Dass man die damit verbundene Verfestigung ernst nehmen sollte, das merkt dieser Schaltwagen gewohnte Autofahrer spätestens, wenn er in einen Automatikwagen steigt und beim Anhalten eben ganz gewohnheitsmäßig auch auskuppeln will - hier aber mit dem linken Fuß nur das verbreiterte Bremspedal erwischt!
Gegen das verfestigte Verhaltensmuster kann man immerhin angehen, indem man die bisher unbewusst ablaufenden Dinge eben konzentriert und aufmerksam tut. Man kann das unerwünschte problematische Verhalten allmählich wieder verlernen. Dass das seine Zeit dauert, das wird der Schaltwagen gewohnte Fahrer aber überrascht feststellen, wenn eine Notbremsung nötig ist. Er wird dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch recht lange reflexartig weiter mit dem linken Fuß kuppeln wollen.
Von besonderer Bedeutung bei V2 ist aber die verminderte Anpassungsfähigkeit. Etwas anders formuliert bedeutet das ja: Auch wenn sich der Kandidat wirklich Mühe gibt sich an Regeln zu halten, wird er wahrscheinlich trotzdem ab und zu weiterhin dagegen verstoßen. Das bedeutet nicht, dass er gar nicht anders kann, aber im Vergleich zu anderen Verkehrsteilnehmern fällt es ihm einfach deutlich schwerer. Er wird also Hilfsmittel brauchen (die oben genannten alternativen Bewältigungsstrategien nämlich), die ihm helfen, eine ausreichende Selbstkontrolle zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. - Ich denke, man ahnt schon, dass es nicht ganz einfach sein wird, das dem psychologischen Gutachter überzeugend genug zu vermitteln.
Hypothese V3
»Der Klient hat aufgrund von Fehleinstellungen gegenüber Regelbeachtung bei verminderter Anpassungsbereitschaft und aufgrund problematischer Fahrverhaltensgewohnheiten vermehrt oder erheblich gegen verkehrsrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Bestimmungen verstoßen. Es ist mittlerweile jedoch eine weitgehende Einstellungs- und Verhaltensänderung eingetreten, sodass er über eine ausreichende Selbstkontrolle bei der Einhaltung von Verkehrsregeln verfügt.«
So unangenehm und bedrohlich sich das, was Sie jetzt bereits bei V1 und V2 lesen konnten, auch angehört haben mag, so kann ich hier doch wenigstens eine Teil-Entwarnung geben: Die meisten Kandidaten, die mit einer V-Fragestellung zur MPU antreten, werden in V3 eingestuft, denn das Vorhandensein verminderter Anpassungsfähigkeit ist sogar bei recht krassen Fällen meistens nicht offensichtlich genug nachweisbar.
Das erste wesentliche Merkmal bei V3 sind - wie bereits gesagt - Fehleinstellungen gegenüber Regelbeachtung, was ungefähr so viel heißt wie unangemessen "großzügiger Umgang" mit Regeln. Oft drückt sich das in einer Sichtweise ungefähr folgender Art aus: Der Kandidat sieht zwar durchaus ein, dass es ganz ohne Regeln halt nicht geht, aber er nimmt sich das Recht heraus jeweils von Fall zu Fall zu entscheiden, welche Regeln für ihn verbindlich sind und welche nicht. Man könnte also von einer Art Interpretationsspielraum bei seiner Regelanwendung sprechen. Das Problem ist aber, dass ein solcher Interpretationsspielraum nun mal einfach nicht vorgesehen ist bei unseren Verkehrsregeln. Das hat auch einen handfesten Grund: Die Verkehrsdichte ist heute längst dermaßen hoch, dass Verkehrsteilnehmer mit sehr unterschiedlicher Routine, Tagesform und Fähigkeit am Straßenverkehr teilnehmen. Was dem einen ganz klar und selbstverständlich erscheint, das hat der andere in derselben Situation möglicherweise noch überhaupt nicht bemerkt. Unter solchen Voraussetzungen wäre das Zulassen eines Interpretationsspielraums aber Quelle für eine ganz erhebliche Gefährdung, z.B. durch missverständliche Interpretation des Verhaltens des anderen oder durch unbeabsichtigt erzeugte Schreckreaktionen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Ein wichtiger Punkt, den fast niemand berücksichtigt, ist die Tasache, dass wir als Autofahrer in der Blechkiste angeschirmt unterwegs sind. Oft hat man ja zu den anderen Fahrern nicht einmal Blickkontakt. Das bedeutet, dass ich nicht wissen kann, ob im Auto vor mir ein Führerschein-Neuling, ein routinierter Vielfahrer oder ein 85-Jähriger Rentner sitzt, was in der Regel einen ganz erheblichen Unterschied ausmacht. Stattdessen geht man meistens eher davon aus sich den anderen Fahrer als sich selbst ähnlich zu denken, was ein großer Irrtum sein kann!
Worin die Fehleinstellungen bei der Regelbeachtung bestehen, das wird der MPU-Gutachter natürlich genauer untersuchen. Heikler wird es aber bei der Frage nach der verminderten Anpassungsbereitschaft. Jeder hat sicher schon die Erfahrung gemacht, dass sich anpassen oft lästig und unbequem sein kann, nicht nur im Straßenverkehr. Umso unverständlicher ist es dann, wenn derselbe Mensch, der sich vielleicht gerade eben noch brav an ein Rauchverbot in der Gaststätte gehalten hat, wenig später im Straßenverkehr eine Regel nach der anderen ignoriert, und das sogar dann, wenn er weiß, dass sein Punktekonto bereits eine kritische Höhe erreicht hat. Dieses Verhalten ist zumindest nicht ohne weiteres zu erklären, denn man kann wohl als ziemlich wahrscheinlich annehmen, dass fast niemand einfach nur so mal eben seinen Führerschein aufs Spiel setzt. Und gerade das Punktesystem ist ja so aufgebaut, dass man nicht ahnungslos in eine Falle tappt. Man bekommt sogar eine schriftliche Mitteilung, dass es jetzt eng wird. Wer dann trotzdem weiter macht wie bisher: Warum tut er das? - Sie sehen jetzt sicher, dass an dieser Stelle der Verdacht, der kann vielleicht nicht anders (also nich nur verminderte Anpassungsbereitschaft), nicht so abwegig ist.
Zusammenfassung:
Es sollte in Ihrem eigenen Interesse sein in der jeweils bestmöglichen Schublade zu landen, weil Sie dann weniger Vorgaben erfüllen müssen. Ein nicht zu unterschätzendes Problem bei den V-Delikten besteht darin, dass man ja keine Möglichkeit hat durch irgendwelche "Abstinenz-Nachweise" zu belegen, dass man sich inzwischen wirklich nachhaltig geändert hat. Nicht zufällig gelten die V-Fragestellungen als die Königs-Disziplin der MPU.