
Die A-Hypothesen der MPU
Das Wichtigste zusammengefasst:
- Hypothese A1
Wer A1 zugeordnet wird, gilt als abhängiger Alkoholiker. - Hypothese A2
A2 bedeutet Alkoholmissbrauch, also ein fortgeschrittenes Alkoholproblem. - Hypothese A3
A3 bedeutet Alkoholgefährdung.
Der psychologische MPU-Gutachter hat ja die nicht ganz einfache Aufgabe eine Prognose über Ihr zukünftiges Verhalten im Straßenverkehr abzugeben. Wie er dabei vorzugehen hat, das steht in den Beurteilungskriterien, an die er sich verbindlich halten muss. Jeder einzelnen Hypothese sind Voraussetzungen zugeordnet, die der MPU-Kandidat erfüllen muss um eine positive Prognose erhalten zu können. In welche Hypothese Sie gesteckt werden, das entscheidet sich im Lauf des Gesprächs mit dem psychologischen Gutachter. Dabei ist er nicht völlig frei, hat aber einen gewissen Entscheidungsspielraum. Ihr Interesse muss es natürlich sein in einer möglichst günstigen Hypothese zu landen.
Die Hypothesen A1 bis A3
Ich zitiere bei den Hypothesen hier wörtlich den Text aus den Beurteilungskriterien:
Hypothese A1
"Es liegt Alkoholabhängigkeit vor. Eine Entwöhnungstherapie oder eine vergleichbare, in der Regel suchttherapeutisch unterstützte Problembewältigung hat zu einer stabilen Alkoholabstinenz geführt."
A1 gilt nur für die klassische Alkoholabhängigkeit (also Sucht). In diese Hypothese fallen nur sehr wenige der Alkohol-MPU-Kandidaten. Es müssen ganz klare Voraussetzungen vorliegen, um dieser Gruppe zugeordnet werden zu können. Es reicht also nicht eine diffuse Vermutung oder ein bloßer Eindruck des Gutachters. Grundsätzlich ist es aber möglich, auch aus dieser zugegebenermaßen schwierigen Schublade heraus ein positives Gutachten zu erhalten. Die Anforderungen, die dabei erfüllt sein müssen, sind genau definiert.
Bei A1 wird echte radikale Abstinenz gefordert. Dahinter steckt die Annahme, dass wirkliche Abhängige schon durch Konsum kleinster Mengen Alkohol rückfällig werden können. Es wird angenommen: Wer abhängiger Alkoholiker ist, der bleibt das sein Leben lang. Es geht nicht darum, dass so etwas angeboren wäre, sondern es wird vermutet, dass das spezielle Problem erst durch den langen exzessiven Alkoholkonsum allmählich entstanden ist. Ob es tatsächlich so ist, dass ein trockener Alkoholiker immer schon auch bei kleinsten Mengen mit stark erhöhter Rückfallgefahr rechnen muss, ist nicht unumstritten. Für die MPU steht das aber nicht zur Debatte.
Wer alkoholabhängig ist, ist für die Teilnahme am Straßenverkehr ungeeignet. Die Diagnose Abhängigkeit ist sehr schwerwiegend, was die Fahrerlaubnis angeht, denn Entzug der Fahrerlaubnis geschieht auch dann, wenn der Betroffene gar nicht im Straßenverkehr auffällig geworden ist. Es wird nämlich vermutet, dass durch den bei Abhängigen zu erwartenden totalen Kontrollverlust bereits eine große Gefahr besteht, er könnte in Zukunft auch dann stark alkoholisiert fahren, wenn er sich fest vorgenommen hatte das nicht zu tun. Im Interesse der Allgemeinheit ist deshalb Führerscheinentzug nötig. Nach medizinischer Sichtweise bleibt Alkoholabhängigkeit lebenslang bestehen. Demnach würde man ja erwarten, dass auch dauerhaft keine Teilnahme am Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen mehr gestattet wird. Das ist aber nicht so, denn die FeV (Fahrerlaubnisverordnung) nennt als Voraussetzung nach Anlage 4 Nr. 8.4 FeV, dass "Abhängigkeit nicht mehr besteht". Zu interpretieren ist das so, dass eine dauerhaft stabile Alkoholabstinenz vorliegen muss. Ein so genannter trockener Alkoholiker also. - Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Zuordnung zu A1 nicht willkürlich geschieht.
So erfolgt Zuordnung zu A1:
- Entweder es liegt bereits eine entsprechende externe Diagnose vor
- oder eine Alkoholabhängigkeit ist aufgrund der aktuellen Befundlage zu diagnostizieren.
In beiden Fällen liegen die aktuell gültigen Diagnoseschlüssel ICD-10 und DSM-IV zugrunde. - Man mag dem skeptisch gegenüber stehen, aber wenn man sich die Mühe macht das genauer anzuschauen, merkt man doch, dass hier zumindest ziemlich gründlich gearbeitet wird. Es ist sicher nicht zu 100% ausgeschlossen, dass sich jemand die Diagnose Alkoholabhängigkeit "auf unglückliche Weise einfängt", aber beonders hoch ist diese Gefahr eines Irrtums nicht. Am ehesten ist der Betroffene selbst dabei unvorsichtig aktiv geworden (z.B. wenn er sich freiwillig in eine handfeste suchttherapeutische Maßnahme begibt, um etwas ganz Anderem, das für ihn noch unangenehmer wäre, zu entgehen). Das kann dann zu einer solchen Diagnose führen, weil die eben ziemlich automatisch am Ende der absolvierten Maßnahme steht (z.B. weil sonst die Krankenkasse nicht zahlen würde!). Man sollte verstanden haben, dass auch die Zuordnung in A1 keineswegs eine positive MPU ausschließt. Es ist aber wichtig, dass man genau darauf achtet, was in diesem Fall als Voraussetzungen nötig ist. Ohne entsprechende Abstinenznachweise (siehe weiter unten) braucht man gar nicht anzutreten. Und vorherige Teilnahme an einer suchttherapeutischen Maßnahme wird auch mindestens gerne gesehen.
Hypothese A2
"Der Klient ist nicht dauerhaft in der Lage, mit Alkohol kontrolliert umzugehen. Er verzichtet deshalb konsequent, zeitlich unbefristet und stabil auf den Konsum von Alkohol."
Die Hypothese A2 kommt in Betracht, wenn keine Alkoholabhängigkeit vorliegt, es aber deutliche Hinweise dafür gibt, dass kontrollierter Umgang mit Alkohol mit hoher Wahrscheinlichkeit langfristig nicht stabil sein würde.
Auch wenn es von der Formulierung und den geforderten Nachweisen her wahrscheinlich kaum auffällt, gibt es doch einen ganz erheblichen Unterschied zwischen A1 und A2: Bei A1 ist ganz klar von Abstinenz die Rede. Der Betroffene wird als Abhängiger gesehen mit allen Konsequenzen, und dazu gehört eben auch Verzicht sogar auf minimalste Mengen Alkohol (die Schnapspraline beispielsweise). Der MPU-Kandidat, der in A2 eingeordnet wird, gilt nicht als Abhängiger. Aus rein medizinischer Sicht besteht deshalb keine Abstinenznotwendigkeit. Deshalb wird in Hypothese A2 der Begriff Abstinenz auch vermieden und stattdessen von Alkoholverzicht geredet. In den Beurteilungskriterien (der "Bibel" des Gutachters) gibt es dazu neuerdings auch einen Beitrag zu dieser Frage. Es ist dort bei A2 von verkehrsbezogener Notwendigkeit des Alkoholverzichts die Rede - nicht von medizinischer. Ein Stück weiter hinten im Text findet man nochmals die schöne Unterscheidung: "(dass es sich) um eine vernunftgeleitete Entscheidung (...) handelt und nicht um eine aus gesundheitlichen (...) Gründen zwingend erforderliche Maßnahme." Was so viel heißt wie: An sich müsste er nicht komplett auf Alkohol verzichten, aber wenn er den Führerschein wieder haben möchte, dann schon, denn er ist sonst ein zu wackeliger Bursche, was Trennung von Alkoholkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr angeht!
Die Sache mit der Lerngeschichte
Die Entscheidung, ob jemand in A2 oder in A3 einzuordnen ist, erscheint manchmal ziemlich willkürlich. Das liegt daran, dass keine so scharfen Maßstäbe (ICD und DSM) vorliegen wie bei A1. Entsprechend schwammig liest sich auch: Es ist "aus der Lerngeschichte" abzuleiten, dass der Klient zum kontrollierten Alkoholkonsum nicht hinreichend zuverlässig in der Lage ist. - Die Anführungszeichen stehen tatsächlich im Originaltext (Kriterium A 2.2)!
Bei genauerem Hinsehen merkt man aber, dass es sooo schwammig dann doch nicht ist. Die Lerngeschichte meint einen Blick zeitlich zurück und auf verschiedene Bereiche:
- psychische Merkmale
- soziale Merkmale
- Delikt-Merkmale
- Vermeidungsstrategien
- Selbstkontroll- und Therapieerfahrungen
- Bedingungen des Trinkens
- quantitative Merkmale
Die Liste umfasst immerhin stattliche 27 Merkmale, die für eine fehlende Fähigkeit zum kontrollierten Umgang mit Alkohol sprechen. Dabei genügt nicht ein einzelnes Merkmal, sondern es "ist zu fordern (...), dass sich Indikatoren aus verschiedenen Merkmalsbereichen zu einem einheitlichen Befundbild zusammensetzen." - Das sieht nach Gründlichkeit und Sorgfalt aus (was ja durchaus wünschenswert ist), aber man ahnt auch, dass hier der Ermessensspielraum des Gutachters ziemlich groß sein kann.
Eine besondere Rolle spielt das Problem Wiederholungstäter. Kurz zusammengefasst lässt es sich auf folgenden Punkt bringen:
Wer schon einmal wegen Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden ist und jetzt wieder, der hat ja offensichtlich nichts daraus gelernt, sondern hat ganz klar gezeigt, dass kontrollierter Umgang mit Alkohol unterhalb der für Verkehrsteilnahme zulässigen Grenze bei ihm nicht gewährleistet ist.
Deshalb gehört er in die Schublade A2 mit den entsprechenden Anforderungen, was Abstinenznachweise angeht. Das ist auch dann der Fall, wenn der Promillewert nur wenig über der zulässigen Grenze lag oder die letzte Auffälligkeit schon lange zurück liegt (bis 10 Jahre). Viele finden das unangemessen, aber andererseits ist es eben schon so, dass wirklich absolut niemand gezwungen ist sich alkoholisiert ans Steuer zu setzen. Es geschieht immer freiwillig und gerade bei niederen Promillewerten auch bestimmt nicht unwissentlich, denn in diesem Zustand kann jeder noch klar denken, und wer schon einmal ein Alkoholdelikt hatte, sollte sich ja wohl bereits näher damit befasst haben. Wer das nicht getan hat, zeigt deutlich, dass bei ihm die Voraussetzungen für kontrollierten Umgang mit Alkohol nicht vorhanden sind.
Hypothese A3
"Es lag eine Alkoholgefährdung vor, die sich in gesteigerter Alkoholgewöhnung, unkontrollierten Trinkepisoden oder ausgeprägtem Entlastungstrinken äußerte. Der Klient hat aufgrund eines angemessenen Problembewusstseins sein Alkoholtrinkverhalten ausreichend verändert, so dass von einem dauerhaft kontrollierten Alkoholkonsum ausgegangen werden kann."
Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Hypothesen A2 und A3 besteht darin, dass bei Zuordnung zu A2 Abstinenznachweis nötig ist (mindestens 6 Monate, aber angestrebt werden meistens 12 Monate), während der A3-Kandidat mit kontrolliertem Trinken antritt. Das ist schon deshalb angenehmer, weil Abstinenznachweise nicht nur lästig sind, sondern eben auch einen Batzen Geld extra kosten. Noch bis 2014 war es so, dass der Gutachter das kontrollierte Trinken eben glauben musste (oder auch nicht). Ein Nachweis dafür war nicht vorgesehen. Seit Einführung der 3. Auflage der Beurteilungskriterien im Mai 2014 ist das mit einer gewissen Vorsicht zu genießen: Es ist zwar eigentlich weiterhin kein Nachweis dafür vorgesehen (jedenfalls nicht nach den scharfen Kriterien des Abstinenznachweises), aber neu eingeführt wurde, dass "gewisse Nachprüfungen" jetzt ausdrücklich als möglich genannt werden. Gedacht ist das nicht als Standard, sondern für solche Fälle, wo ein gewisses Misstrauen des Gutachters naheliegend sein kann. Das ist z.B. dann der Fall, wenn im medizinischen Teil Leberwerte gemessen werden, die an der oberen Grenze der Norm oder sogar darüber liegen und deshalb nicht recht zu den angegebenen niederen Trinkmengen passen.
Genauere Nachprüfungen
Es gibt außer den klassischen Leberwerten noch weitere Analysemöglichkeiten, die im Zusammenhang mit Alkoholkonsum interessant sein können. Das ist vor allem der CDT-Wert, der mit guter Validität (also Zuverlässigkeit, nur wenige "Ausreißer") erhöhte Werte zeigt, wenn im Zeitraum von ungefähr 2-3 Wochen vor der Probenentnahme eine größere Menge Alkohol konsumiert wurde. Der CDT schlägt nicht nur dann aus, wenn über mehrere Tage weg regelmäßig eine bestimmte Menge Alkohol getrunken wurde (z.B. ab 1,5 Liter Bier), sondern auch ein einzelner ausgeprägter Trinkexzess kann seine Spuren hinterlassen. Erhöhter CDT zusammen mit hohem GGT und dann vielleicht auch noch größerer GOT als GPT spricht stark dafür, dass nicht die behaupteten niederen und nur seltenen Alkoholmengen getrunken wurden.
Neu ist auch die Möglichkeit Blut auf PEth zu testen. Dafür sind nur wenige Tropfen Blut nötig. PEth kann Alkoholkonsum bis ca. 2 Wochen rückwirkend nachweisen.
Zusammenfassung:
Es sollte in Ihrem eigenen Interesse sein in der jeweils bestmöglichen Schublade zu landen, weil Sie dann weniger Vorgaben erfüllen müssen. Was Abstinenz angeht, sollte man vorsichtig sein und nach meiner Erfahrung einen Mix aus Abstinenz und Kontrolliertem Trinken lieber vermeiden ("erst mache ich ein halbes Jahr Abstinenz, dann wechsele ich auf Kontrolliertes Trinken"). Das ist zwar nicht verboten, führt aber oft zu eher unangenehmen Nachfragen.
Weil ja jeder Einzelfall bekanntlich anders ist, sprechen Sie ich am einfachsten direkt an mit Ihren Fragen.