Cannabis auf Rezept
Was dieser Beitrag behandelt:
Seit 2017 ist die ärztliche Verordnung von Cannabis auf Rezept zulässig. Für die MPU und die Teilnahme am Straßenverkehr ergeben sich daraus einige interessante Fragen, die auch bei MPU-Beratern und -Gutachtern teilweise erst mal Unsicherheit erzeugten. Im September 2018 ist die 3. Auflage des Kommentars zu den Begutachtungsleitlinien (BGL) erschienen. Dort wird jetzt auch erstmals das Thema Cannabis auf Rezept besprochen. Leider wurde aber vieles nicht klar formuliert. Daraus ergeben sich böse Fallstricke!
Es wird erst auf den zweiten Blick sichtbar, in was für eine kuriose Lage die Verordnung von Cannabis auf Rezept die ganze MPU-Maschinerie bringt:
THC im Straßenverkehr
Gleichgültig ob er als Marihuana oder Haschisch konsumiert wird, es geht dabei um den Cannabis-Wirkstoff THC. Dieser Wirkstoff gilt in Deutschland als illegale Droge. Wer unter Einfluss von THC am Straßenverkehr teilnimmt, wird deshalb ähnlich behandelt wie bei einer Trunkenheitsfahrt unter Alkohol.
Bei etwas genauerem Hinsehen merkt man aber bald, dass es erhebliche Unterschiede gibt: Während es bei Alkohol ganz klar definierte gesetzliche Grenzen gibt (z.B. BAK 0,50 ‰ oder auf dem Fahrrad BAK 1,60 ‰), fehlt eine solche gesetzliche Festlegung bei THC. Warum? Na klar, der Konsum der Substanz insgesamt ist ja eh verboten! Das bringt den MPU-Gutachter in eine unglückliche Lage: Irgendwo muss er ja eine Grenze ziehen, ab wann fahren unter THC-Einfluss stattfindet. Da es eine solche Grenze als gesetzlichen Wert aber nicht gibt, muss er sich irgendwie behelfen. Es hat sich mehr oder weniger willkürlich bei der MPU eingebürgert, dass ab dem sehr niederen Wert von 1,0 ng/ml gemessenem THC die Grenze gezogen wird.
Heißt in der Realität fast immer: Wer bei einer Kontrolle mit mehr als 1,0 ng/ml am Straßenverkehr teilgenommen hat, der ist fällig für eine Drogen-MPU mit Abstinenznachweisen (6 Monate bzw. bei Wohnsitz in Bayern 12 Monate).
Überraschende Unterschiede Alkohol / THC
Beides sind Drogen - aber mit dem Unterschied, dass die eine frei verkäuflich erhältlich ist, die andere aber nicht. Es ist bekannt, dass Alkohokonsum ein nennenswertes Problem bedeutet. Es gibt schon lange eine enorme Menge an wissenschaftlichen Untersuchungen zu allen möglichen Teilfragen dazu, auch im Bezug zum Straßenverkehr.
Es mag überraschen, aber zu Auswirkungen von THC für die Teilnahme am Straßenverkehr gibt es fast nichts! Es ist noch nicht mal genauer untersucht worden, ob beim Fahren unter THC-Einfluss ganz ähnliche drastische Auswirkungen auf die Reaktionszeit stattfinden wie unter Alkohol-Einfluss. Einige der wenigen vorliegenden Untersuchungen (meist mit nur wenig Probanden, was die Aussagekraft reduziert) scheinen das sogar zu widerlegen.
Ist Cannabis ein Medikament?
Jedes auf dem Markt frei gegebene Medikament muss vorher sehr anspruchsvolle und aufwendige Untersuchungen durchlaufen haben, um Katastrophen wie z.B. beim Contergan-Skandal zu vermeiden. Diese Prozedur hat aber das ärztlich verschriebene Cannabis nicht durchlaufen und kann deshalb nicht als klassisches Medikament angesehen werden. Der Verzicht auf die aufwendigen Untersuchungen hat aber zur Folge, dass es keine wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse zur Dosierung und zu Nebenwirkungen gibt. Das führt bezogen auf den Straßenverkehr jetzt zu einer Situation, die aus MPU-Sicht schon einige heftige »argumentative Purzelbäume« nötig macht.
Die verschwundene Gefährdung
Wer illegal Cannabis konsumiert und sich ans Steuer setzt, der wird bis runter zum doch sehr niederen Wert von 1,0 ng/ml als Gefahr im Straßenverkehr betrachtet - es folgt MPU. Dem gegenüber stehen jetzt aber Verkehrsteilnehmer, die legal konsumieren (Cannabis auf Rezept) und für die diese Grenze nicht gilt. Das kann sogar so weit gehen, dass der »Legale« sein »medizinisches Cannabis« konsumiert und unmittelbar danach fährt (also mit einem ganz gewiss deutlich höheren Aktivwert als 1,0 ng/ml). Und man staune: Er darf das eventuell sogar!
Wie kann das angehen? Wo ist plötzlich die große Gefährdung hin verschwunden? In der 3. Auflage des Kommentars, den ich diese Woche erhalten habe, kann man was dazu nachlesen. Und ich finde, es ist recht deutlich sichtbar, dass man sich damit schwer getan hat.
Argumentative Purzelbäume
Dem medizinischen Legal-Konsument wird plötzlich erstaunlich viel Verantwortung zugetraut. Wie bei einem »normalen« Medikament, das ja auch Nebenwirkungen haben kann, die die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen können, wird ihm jetzt zugetraut, dass er schon merken wird, wenn er vielleicht vorübergehend nicht ausreichend fahrtüchtig ist.
Wie ist das möglich? Im Kommentar zu den Begutachtungsleitlinien wird der Schwarze Peter weitgehend dem behandelnden Arzt zugeschoben. Er muss seinen Patient detailliert über die Problematik aufklären und dringend daran appellieren, dass er sich doch bitte aufmerksam und mustergültig verantwortungsbewusst zu verhalten hat. - Na ja...
Ich möchte hier ganz gewiss nicht eine große Problematik aus der Luft greifen, wo sie in Wirklichkeit vielleicht nicht so vorhanden ist. Ich finde es gut, dass dieser Schritt gegangen wurde und Cannabis auf Rezept möglich gemacht wurde. Mir würde aber doch sehr sauer aufstoßen, wenn parallel manche unrealistisch rigiden Anforderungen bei der Drogen-MPU (siehe etwa Bayern mit 12 Monaten Abstinenznachweis auch für reinen Gelegenheitskonsum THC) bestehen bleiben. Das wäre krass mit zweierlei Maß gemessen. Es sieht aber momentan nicht so aus, dass sich das schnell ändern wird.
Vom Kiffer zum Legal-Konsument?
Man darf sich das gewiss nicht so vorstellen, dass der kiffende Dauerkonsument jetzt einfach zum Hausarzt marschiert, sich dort seine regelmäßigen Rezepte über Cannabis abholt, und gut ist es. So ist es auf keinen Fall gedacht. Im BGL-Kommentar wird deshalb auch thematisiert, dass es sehr unterschiedliche Erfahrung im Umgang mit Cannabis geben wird und die Hintergründe genau beachtet werden müssen. Auch wenn das nicht so direkt ausgesprochen wird: Denkbar ist ohne weiteres, dass ein Legal-Konsument die Fahrerlaubnis nicht mehr erhält, wenn entsprechende Voraussetzungen nicht gegeben sind.
Die MPU wegen Cannabis auf Rezept
Bis hierher klingt alles noch eher kurios bis witzig. In der Realität ist es das aber ganz und gar nicht. Die Mehrzahl der Jetzt-Rezept-Kandidaten ist nämlich vorher bereits mit einem Cannabis-Vergehen im Straßenverkehr aufgefallen und muss deshalb zur MPU antreten. Man könnte meinen, dass sich das Problem in Luft aufgelöst hat, sobald ein Rezept vorliegt. Das ist aber ein großer Irrtum.
Aus dem Rezept folgt nämlich nicht, dass der Führerschein automatisch gerettet ist und jetzt THC-Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr kein Thema mehr sind. Im Gegenteil sogar:Wer jetzt Cannabis auf Rezept erhält, der kann möglicherweise für die Teilnahme am Straßenverkehr ungeeignet sein. Deshalb muss das genau überprüft werden.
Compliance und Adhärenz
Das sind zwei Begriffe, die einem erst nicht wirklich viel sagen. Sie sind aber von herausragender Bedeutung bei der Begutachtung; und leider ist ganz und gar nicht sonnenklar, was sich dahinter verbirgt!
Compliance
Gemeint ist im MPU-Sprachgebrauch damit, wie gut Sie sich an die Vorgaben des verschreibenden Arztes halten. Maximale Compliance ist gefordert.
Adhärenz
Aus meiner Sicht ist Adhärenz nur eine zweites Wort für den gleichen Inhalt (engl. compliance = adherence). In den Begutachtungsleitlinien Kommentar wird aber ein gewisser Unterschied gemacht. Ich will es mal etwas zynisch formulieren: Adhärenz muss für die MPU als eine Art "vorauseilender Gehorsam" verstanden werden.
Was Compliance angeht, mag das ja noch harmlos erscheinen: Kein Problem, ich halte mich eben 1:1 an das, was der verschreibende Arzt verordnet hat! Der MPU-Sprachgebrauch treibt es aber gleich auf die Spitze: Es wird sehr genau darauf geachtet, ob im Rezept Mengen und genaue Verordnungen als normale Medikation oder Bedarfsmedikation drin steht. Damit steht und fällt bereits die Compliance aus der Sicht der MPU.
Adhärenz setzt aber noch eins drauf: Obwohl es ganz klar um Cannabis und nichts sonst geht, erwartet z.B. die pima-mpu unter Adhärenz, dass selbstverständlich auf Alkohol vollständig verzichtet wird! Wie es im Detail bei anderen MPU-Instituten aussieht, kann ich momentan leider noch nicht beurteilen. Ich vermute aber stark, dass das nicht viel anders sein dürfte, da ja die nebulöse Interpretation von Compliance und Adhärenz als Vorgabe für alle Gutachter gilt.
Was folgt daraus?
Nach meinen bisherigen Erfahrungen geht die Tendenz ganz klar in die Richtung die MPU wegen Cannabis auf Rezept mit jeder Menge Spitzfindigkeiten auszustatten, auf die ein normal denkender Mensch niemals kommen würde. Ich sehe dafür zwei mögliche Erklärungen:
- Weil die Expertenkommission, auf deren Mist der Kommentar-Band gewachsen ist, mit sehr unscharfen Fachbegriffen um sich geworfen hat, herrscht auf Gutachterseite jetzt weiter Unsicherheit, der man auf Leitungsebene der MPU-Institutionen dadurch zu entkommen versucht, dass extrem kleinlich z.B. die Formulierung der Verschreibung auf dem Rezept auseinander gepflückt wird. Darin kann man eine Absicherung sehen, indem man eine Portion Verantwortung dem verschreibenden Arzt zuschiebt.
- Eine ganz andere Erklärung drängt sich mir aber stark auf: Es erscheint mir so, dass es einfach nicht erwünscht ist die Begutachtung wegen Cannabis auf Rezept zu einfach zu absolvieren macht. Eine böse Vermutung: Ob vielleicht der Weg zur positiven Begutachtung möglichst "steinig" gestaltet werden soll, um viele abzuschrecken? Gerade im Kommentar-Text der Expertenkommission lassen sich nämlich eine ganze Reihe "etwas sonderbare" Passagen finden, die dazu passen würden.
Zusammenfassung:
Das Thema Cannabis auf Rezept wurde jetzt auch im Kommentar der BGL aufgegriffen. Das finde ich an sich begrüßenswert. Leider bleibt aber manches im Nebel. Wer Cannabis auf Rezept erhält, der sollte das deshalb nicht auf die leichte Schulter nehmen und denken, ich lege das Rezept vor und gut isses. Davor will ich dringend warnen, denn die Begutachtung setzt an ganz anderer Stelle an und die Fahrerlaubnis kann schneller langfristig weg sein als Sie wahrscheinlich ahnen! Das Rezept ist kein Automatismus zum positiven Gutachten, sondern eher wie Abstinenznachweise nur als "Eintrittskarte" zur MPU zu verstehen.
Wer zur MPU wegen Cannabis auf Rezept aufgefordert wird, muss also wissen: Es genügt ganz und gar nicht einfach nur das Rezept vorzulegen. Ich habe schon selbst feststellen müssen, mit welch erbsenzählermäßigen Spitzfindigkeiten ein negatives Gutachten zusammengebastelt wird - Stichwort: Compliance und Adhärenz.