Kompakt und gründlich:
MPU wegen Medikamentenmissbrauch oder Dauermedikation

Was dieser Beitrag behandelt:

Hier wartet ein sehr langer Text auf Sie! Das ist unvermeidbar, weil es sich um die kompletten Grundlagen der so genannten M-Hypothesen handelt.

  • Was umfassen die M-Hypothesen?
  • Besonderheiten dieser Deliktgruppe
  • Was M1, M2 oder M3 bedeutet

Die Gruppe der M-Hypothesen wurde mit der Aktualisierung der Beurteilungskriterien im Herbst 2022 erstmals als eigenständige Gruppe von Fragestellungen eingeführt. Das Thema Medikamentenmissbrauch war bisher mehr schlecht als recht unter dem Dach der Drogen-Fahrstellungen untergebracht gewesen. Vor allem mit der Einführung von Cannabis auf Rezept 2017 war ein dringender Bedarf entstanden das angemessen zu behandeln. In wie weit das jetzt mit den M-Hypothesen tatsächlich gelungen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Immerhin wurde aber Cannabis auf Rezept ein ganzes Stück weit von Drogen entkoppelt.

Gefährdung steht im Vordergrund

Wie bei den anderen Fragengruppen steht auch hier das Thema Gefährdung im Vordergrund. Wir sollten uns aber zuerst mal genauer anschauen worum es dabei nach MPU-Ansicht geht:

  1. Wenn der "Grad der festgestellten Beeinträchtigungen der körperlich-geistigen (psychischen) Leistungsfähigkeit" problematisch hoch ist.
  2. Wenn von einem Kraftfahrer in einen absehbaren Zeitraum "die Gefahr des plötzlichen Versagens der Leistungsfähigkeit" zu erwarten ist.
  3. Wenn "wegen sicherheitswidrigen Einstellungen, mangelnder Einsicht oder Persönlichkeitsmängeln" kein sicherheitsgerechtes Verhalten zu erwarten ist.

Wichtig ist, dass die Notwendigkeit dauerhafter Medikamenteneinnahme nicht generell Zweifel an der Fähigkeit zur sicheren Verkehrsteilnehmer rechtfertigt, sondern die oben genannten drei Aspekte sind zu überprüfen.

Mögliche Gründe für eine fehlende Fahreignung im Zusammenhang mit Medikamenten können sein:

Achtung:

Unter die fahrsicherheitsrelevanten Arzneimittel fällt damit jetzt auch Cannabis auf Rezept. Das bedeutet, dass wegen der psychoaktiven Wirkung immer ein ausreichender Grund vorliegt um von den betreffenden Klienten eine MPU mit M-Fragestellung zu verlangen!

Anlass für eine MPU mit M-Fragestellung

Meistens sind Tatsachen oder Ereignisse aktenkundig geworden, die eine Leistungsbeeinträchtigung annehmen lassen. Das ist natürlich eine sehr schwammige Formulierung. Man ahnt hier schon, dass viel vom Ermessensspielraum und Arbeitseifer des Sachbearbeiters bei der Führerscheinstelle abhängen kann. Leider wird man sich dagegen aber nur sehr selten wehren können.

Bemerkenswert ist dabei aber, dass dem Führerscheininhaber eine doch recht hohe Eigenverantwortlichkeit zugetraut wird: Nicht jede Erkrankung, Behinderung oder Medikamenteneinnahme an sich wird als Problem angesehen, sondern erst dann, wenn es Hinweise gibt, dass der Klient entweder entscheidende Leistungseinschränkungen nicht erkennen kann oder diese zu ignorieren scheint.

Die Hypothesen M1 bis M3

Bei einem Blick auf die 2022 neu eingeführte Fragestellungsgruppe der M-Hypothesen fällt auf, dass die anders strukturiert sind als die bereits besteheden Fragestellungsgruppen der A-, D- und V-Hypothesen. Während die alle so aufgebaut sind, dass die Schwere der Delikte und Problematiken von 1 bis 3 (bei A- und V-Hypothesen) bzw. von 1 bis 4 (bei D-Hypothesen) abnimmt, wurde diese Abstufung bei den M-Hypothesen fallen gelassen. Ich gehe weiter unten nochmals darauf ein.

Ich zitiere hier wörtlich den Text aus den Beurteilungskriterien:

Hypothese M1

»Der Klient, der dauerhaft ein fahrsicherheitsrelevantes Arzneimittel einnimmt, ist nicht verkehrsrelevant beeinträchtigt. Er ist aufgeklärt und nimmt die Arzneimittel entsprechend der ärztlichen Verordnung ein (Compliance). Risikofaktoren, welche zu einer relevanten Verschlechterung der Leistungsfähigkeit führen können werden angemessen vermieden (Adhärenz). Der Klient ist zudem in der Lage, eventuell auftretende Leistungsdefizite zu erkennen, und ist bereit, adäquat darauf zu reagieren.«

Hypothese M1 beschreibt hier die Voraussetzungen dafür, die ein Klient, der problematische Arzneimittel dauerhaft einnimmt, erfüllen muss um keine Gefahr im Straßenverkehr darzustellen. Wichtige Stichworte sind dabei die Begriffe Compliance und Adhärenz.

Compliance und Adhärenz

Compliance und Adhärenz: Was verbirgt sich dahinter und was ist der Unterschied? - Beide Begriffe setzen voraus, dass es sich um Medikamente handelt, die man auf ärztliche Verordnung bekommt und einnimmt. "Selbstmedikation" scheidet also aus.

Compliance besagt, dass man sich absolut exakt daran hält, wie man diese Medikamente einnehmen soll (also Menge und ggf. auch Uhrzeit). Natürlich kann es auch sein, dass man ein Medikament zur Einnahme nach Bedarf bekommt. Für die MPU mit M-Fragestellung ist das zwar kein Ausschlusskriterium, aber eher ungünstig, weil in diesem Fall wahrscheinlich danach gefragt werden wir, welches denn die genauen Kriterien für die Einnahme sind.

Adhärenz geht einen Schritt weiter. Es ist gewissermaßen eine Art "voraus eilender Gehorsam" bei der Medikamenteneinnahme. Vom Patient wird erwartet, dass er in der Lage sein soll allerlei Risikofaktoren zu kennen, die zu einer Verschlechterung führen können. Ein Beispiel kann etwa sein, dass er vorsichtshalber bei Einnahme dieses Medikaments onsequent auf Alkohol verzichtet. Wichtig ist es auf jeden Fall den Beipackzettel aufmerksam studiert zu haben.

Hypothese M2

»Es liegt kein Fehlgebrauch psychoaktiver, fahrsicherheitsrelevanter Arzneimittel (mehr) vor. Der Klient hat die Ursachen des Fehlgebrauchs erkannt und aufgearbeitet, ist aufgeklärt und nimmt die Arzneimittel entsprechend der ärztlichen Verordnung ein (Compliance). Er ist zudem in der Lage, eventuell auftretende Sysnmptomverschlechterungen und/oder Leistungsdefizite zu erkennen, und es ist nicht zu erwarten, dass er psychoaktive Arzneimittel außerhalb der medizinisch indizierten Therapie einnimmt.«

Die Hypothese M2 baut auf M1 auf und ist als eine Art Fortsetzung von M1 zu verstehen. Sie zielt vor allem (aber nicht nur) ab auf Klienten, bei denen M1 mindestens zeitweise nicht oder nur teilweise erfüllt war. Fehlgebrauch ist das wesentliche Stichwort von M2. Dabei wird nichts über die Ursache des Fehlgebrauchs gesagt. Er kann sowohl ganz bewusst wie auch eher fahrlässig durch Unwissenheit oder mangelnde Sorgfalt geschehen sein. Wichtig ist, dass dieser Fehlgebrauch jetzt nicht mehr vorliegt und die Anforderungen von M1 jetzt vollständig erfüllt sind.

Hypothese M3

»Es lag eine Abhängigkeit von psychoaktiven, fahrsicherheitsrelevanten Arzneimitteln vor. Der Klient ist angemessen suchttherapeutisch behandelt, nimmt die psychoaktiv wirksamen Medikamente nicht mehr oder, falls medizinisch dringend indiziert, zuverlässig nur in der verordneten Menge und Frequenz ein. Wurden auch nicht verordnete BtM oder NpS eingenommen, ist in der Regel Hypothese D1 anzuwenden.«

Hypothese M3 zielt auf eine andere Personengrupope ab als M1 und M2. Der zentrale Begriff von M3 ist die Abhängigkeit. Vergleichbare Klienten findet man in A1 (Alkohol-Abhängigkeit) oder D1 (Drogen-Abhängigkeit) wieder. Die Nähe dieser Personengruppe zu D1 wird sichtbar durch die Erwähnung von BtM (Betäbungsmittel) und NpS (Neue psychoaktive Stoffe, die so genannten Designerdrogen) deutlich.

Wie bei A1 und D1 wird bei M3 eine angemessene suchttherapeutische Behandlung vorausgesetzt (also eine handfeste Therapie). Ich finde es etwas irritierend, dass bei den M-Hypothesen eine andere Nummerierung gewählt wurde (hier M3, während bei A-, D- und V-Hypothesen die schwierigste Gruppe ja immer mit 1 bezeichnet wurde). Keine Ahnung, was man sich bei dieser Abweichung gedacht haben mag…

In M3 finden jetzt übrigens auch Klienten einen Platz, die im Rahmen einer Substitution dauerhaft behandelt werden (z.B. mit Methadon bei Heroin-Abhängigkeit). Diese Personengruppe hatte bisher im Rahmen der MPU keinen richtigen Platz gehabt.

Zusammenfassung:

Sie kennen jetzt die M-Hypothesen und und ihre Anwendung. Damit haben Sie eine gute Grundlage, um mit einer soliden Vorbereitung zu beginnen - mehr aber noch nicht. Ich meine, die Einführung der Gruppe der M-Hypothesen war mehr als überfällig, weil bisher manche Klienten mangels anderer Möglichkeit in die D-Hypothesen reingequetscht wurden, wo sie nicht wirklich hin gehören. Da die MPU mit M-Fragestellungen noch neu sind, bedeutet das aber, dass noch wenig praktische Erfahrungen vorliegen, wie die MPU-Gutachter damit umgehen. Es stimmt, dass sich jeder Gutachter an die Vorgaben der Beurteilungskriterien halten muss. Weil die aber immer einen gewissen Interpretations-Spielraum lassen, halte ich gerade bei den M-Hypothesen eine besonders gründliche Vorbereitung für sehr wichtig.

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